Im Herbst 2022 landet Mariana (Bildmitte) aus Mexiko-Stadt am Berliner Flughafen. Und sucht am Gepäckband erstmal nach ihrem Koffer – vergeblich. Miriam Mueller, Geschäftsführerin der Startcon, erinnert sich:
„Also haben wir nach der Begrüßung schnell die Basics besorgt. Um uns kurz darauf erneut auf den Weg zu machen. Denn bei einem solchen Neuanfang fehlt es einfach an vielen Dingen. Und zu allem Überfluss hatte sie sich auf der Reise auch noch mit Corona angesteckt. Trotzdem ist sie die ganze Zeit positiv geblieben.“ Und ihr verlorener Koffer kommt ein paar Tage später doch noch an.
Mariana arbeitet als OP-Pflegefachkraft in einem Berliner Krankenhaus. Ihre praktisch mit Tisch, Stuhl und Bett eingerichtete Erstunterkunft im Schwesternwohnheim kann sie nach langem Suchen gegen eine größere Einzimmerwohnung in Friedrichshain tauschen. Beim gemeinsamen Abendessen in einem vietnamesischen Restaurant gleich um die Ecke ziehen Miriam und Mariana zwei Jahre nach ihrem letzten Treffen Bilanz.
War der Job in Deutschland eine gute Entscheidung?
„Auf jeden Fall! Ich fühle mich sehr wohl und bin zufrieden mit meiner Entscheidung. Auch wenn es kompliziert weiterging.“ Mariana lacht. „Auf die Anerkennungsprüfung als Pflegefachkraft vorbereiten und in die Arbeit im Krankenhaus einweisen lassen – und nebenbei noch ankommen und mich einleben. Das war alles ein bisschen viel auf einmal.“
Vor der Prüfung absolviert Mariana einen Kurs bei der Startcon – 13 intensive Wochen. „Mariana war eine extrem schnelle Lernerin und hat es in kürzester Zeit geschafft“, berichtet Miriam begeistert. „In der Regel sind es zwei Monate Theorie, unterbrochen durch Praxisphasen auf Station. Inzwischen würde ich sagen, zwei, drei Monate auf Station vor Beginn des Vorbereitungskurses wären gut, um bei der Arbeit anzukommen. Doch verständlicherweise möchten die Krankenhäuser ihre neuen Mitarbeitenden nicht lange im Hilfskraftstatus haben. Die dann ja auch weniger verdienen.“
Manchmal gibt es auch Tränen
Mitunter gerät der Kurs zum Coaching. „In einigen Fällen gab es das Bedürfnis, nach dem Unterricht über den Kulturschock zu reden, weil alle so emotional waren. Die erste Zeit auf Station, die Einarbeitung, das Ankommen, das ist anstrengend. Es kann immer Probleme geben, auch mit Kolleg:innen“, berichtet Miriam.
Da war Mariana anders. Doch auch sie hat so ihre Erfahrungen gemacht: „In der Regel läuft es mit den Kolleg:innen und Patient:innen sehr gut. Doch es gibt leider auch andere Situationen. Wir ausländischen Pflegekräfte – aus Lateinamerika, Rumänien, Russland oder der Ukraine – machen schätzungsweise 50 bis 60 Prozent aus.“
Von Mexiko über die Niederlande und Polen nach Berlin
Dass Mariana einmal im Ausland im Gesundheitssektor arbeiten will, weiß sie schon 2004. „Der Vater einer Freundin war Radiologe und erzählte mir vom Pflegekräftemangel. Den gibt es in Mexiko nicht. Allerdings ist die Bezahlung dort schlecht.“ Zunächst geht sie aber als Au-pair in die Niederlande und studiert Wirtschaft in Warschau. Um dann zurück in Mexiko mit einem weiteren Studium ihren Traum endlich in Angriff zu nehmen. „Weil ich ins Ausland wollte und vom Mangel an Pflegekräften wusste, bin ich von Wirtschaft zu Health gewechselt. Etwa 2014 habe ich zum ersten Mal Angebote für Altenpflegekräfte gesehen. Doch das wollte ich nicht unbedingt machen.“
Mit ihrem Bachelor in Krankenpflege sammelt sie zunächst drei Jahre Erfahrungen als OP-Fachkraft in der plastischen Chirurgie. „Häufig waren es mehrere Eingriffe gleichzeitig. Da stand ich schon mal anstrengende acht Stunden ohne Pause im OP. Und eigentlich hatte ich ja andere Pläne. Also habe ich gekündigt und kurz darauf eine deutsche Stellenanzeige für Pflegekräfte auf LinkedIn entdeckt. Das war an einem Mittwoch. Am Donnerstag habe ich mich beworben und am Freitag kam der Anruf aus Deutschland.“ Alles kein Zufall, glaubt Mariana.
Was ist ein Nupsi?
Ihre Deutschprüfung am Goethe-Institut in Mexiko besteht sie mit Bravour. „Mariana war schon eine besondere Kandidatin. Bei ihrer Ankunft sprach sie hervorragend Deutsch.“ Trotzdem sind die ersten Wochen im OP eine Herausforderung. „Auf einer normalen Station kann es schon schwierig sein. Aber im OP! Das wäre sogar als Muttersprachlerin kompliziert. Es ist immer laut, die Atmosphäre ist angespannt. Mit Hauben und Mundschutz verstehen wir uns nicht so gut. Manche sprechen Deutsch als Fremdsprache, andere Dialekt. Fach- und Umgangssprache mischen sich. Was bitte ist zum Beispiel ein Nupsi? Das kann alles sein, irgend so ein kleines Ding. Da kannst du noch so konzentriert arbeiten und die besten Sprachkenntnisse haben.“
Eine Frage der Anerkennung
Marianas mexikanischer Bachelor wird von den deutschen Behörden nicht vollständig anerkannt – wegen unterschiedlicher praktischer und theoretischer Module im Vergleich zur deutschen Ausbildung. Deshalb muss sie im Rahmen einer Prüfung nachweisen, dass sie inzwischen Kenntnisse auf dem Stand einer deutschen Pflegefachfrau besitzt. Da das in Deutschland ein Ausbildungsberuf ist, hat sie mit dem Fachkrafttitel trotzdem nicht automatisch einen Bachelor. „Inzwischen streben die deutschen Behörden aber an, den ausländischen Fachkräften einen Bachelor zu erteilen. Dabei unterstützen wir Mariana. Denn vier Jahre Bachelor-Studium und ein Jahr obligatorischer Zivildienst im Krankenhaus plus praktische OP-Erfahrung versus drei Jahre Ausbildung, das ist schon ein Unterschied.“
Und Mariana ist hochmotiviert. „Die Arbeit im OP ist zwar oft stressig, aber es ist auch schön, eine Welt für sich. Und in einem Notfall muss es eben schnell gehen.“ Miriam ist begeistert. „Es wirkt so, als ob du das sehr gerne machst.“ Mariana strahlt. „Auf jeden Fall!“ „Mir war von Anfang an klar: Mariana weiß, was sie will, sie wird ihren Weg gehen.“
Winter ist für mich kein Problem
„Bist du gut in Berlin angekommen?“ Mariana nickt. Vor kurzem ist sie in die Angiologie gewechselt und freut sich auf ihren neuen Aufgabenbereich. Privat gehört der Umzug in die neue Wohnung zu ihren schönsten Erlebnissen. „Es fühlte sich an wie ein Lottogewinn. Außerdem war es toll, die Stadt neu zu entdecken. Ich habe viele gute Erfahrungen gemacht. Nur die Menschen, die sind in Mexiko manchmal doch etwas offener und freundlicher.“
„Was haben wir als Agentur gut gemacht, was hättest du dir anders gewünscht? Hast du Tipps für Kolleg:innen, die sich auf den Weg machen wollen?“ möchte Miriam wissen. „Oh ja, besser Deutsch sprechen. Außerdem hätte ich mich am liebsten schon in Mexiko auf die Fachsprache vorbereitet.“ Dafür bietet die Startcon laut Miriam inzwischen auch Kurse für Kandidat:innen im Ausland an. Gern hätte Mariana auch vorher gewusst, dass es schwierig werden kann, sich im Anschluss an einen erfolgreichen Start den Wunsch nach einer größeren Wohnung zu erfüllen. Auf dem angespannten Wohnungsmarkt hat sie ihre neue Bleibe nur über ihr Netzwerk bei der Arbeit gefunden. „Zum Glück hat sich die Startcon um alles Weitere gekümmert. Der Papierkram und die Behördengänge hätten mich echt überfordert.“
Wenn ich mir was wünschen könnte
Eigene Mentor:innen für alle neuen Pflegekräfte, das hätte sich Miriam gewünscht, um die Startschwierigkeiten aufzufangen. „Eigentlich müssten Recruiting-Projekte viele Jahre im Voraus aufgebaut werden. Mit speziellen Stationen und gut geschulten Betreuer:innen, wo die Neuen erstmal ankommen. In dem Bereich gibt es tolle Ideen. Doch manche Krankenhäuser fangen oft erst dann an, im Ausland zu rekrutieren, wenn sie eigentlich schon am Limit sind.“
Von ihren anstrengenden Schichten erholt sich Mariana mit viel Schlaf und Krav Maga. Oder sie besucht Freunde in Brüssel, Leipzig, Hamburg und Polen. „Polen ist mein zweites Zuhause.“ Neben Polnisch und ihrer Muttersprache Spanisch spricht sie auch noch Englisch, Niederländisch und Französisch. Zweimal war sie in der Zwischenzeit schon wieder in Mexiko. Vermisst sie etwas hier in Deutschland? „Ja, meine Familie und das Essen. Am meisten die Bohnen. Die sind hier auch okay. Aber nicht vergleichbar.“